So lasset uns vom Weihnachtsfest berichten. Die
Feierlichkeiten in Stenkelfeld erschöpften sich bereits im Vorfeld in allerlei Märkten,
bei denen sich verfeindete Wohltätergruppen mit unbarmherziger Barmherzigkeit befehdeten.
Und so begab es sich aber zu der Zeit, als ein Aufruf vom Oberkreisdirektor ausging, auf
dass alle Welt sich auf dem Stenkelfelder Weihnachtsmarkte blicken lasse.
Montag,
16. Dezember, 15 Uhr:
Unter dem Motto "Ein Stück weit Frieden spüren" eröffnet Pastoralreferent
Reinhard Höllerich-Nöhrenberg den alternativen Stenkelfelder Weihnachtsmarkt rund um die
St. Johannis Kathedrale, versäumt es jedoch, in seiner Begrüßung neben den Anwesenden
auch den Anwesendlnnen den Segen der Weihnacht zu wünschen, dies führt zu ersten
Unmutsbezeugungen aus dem Menstruationskreis lesbischer Künstlerinnen, die den Rest der
Ansprache mit Trillerpfeifen und "Sackträger"-Sprechchören übertönen.
15 Uhr 31:
Durch die im Meditationstanz versunkenen Mitglieder der Frauen-Selbsterfahrungsgruppe
"Silber-Elster", die mit ausgebreiteten Armen im ökologisch mit Senflauge
gebatikten Wickelrock über die Kirchwiese schweben, bahnt sich bölkend und hupend der MC
Schmöllerheide auf schweren Harleys den Weg zum Rockzelt von Jugendpastor Helge Bösch,
der für 16 Uhr zum Motorradgottesdienst geladen hat.
15 Uhr 56:
Eine glühendheiße Pappterrine mit herzhafter Gulaschsuppe klatscht gegen das Transparent
"Zucker ist Sünde" am Stand des vegetarischen Ernährungskreises "Mutter
Erde", an dem das "Sumpfpumpenprojekt Eritrea" durch den Verkaufserlös von
mit Nelkenfett gesüßter Vollkornschokolade unterstützt wird. Die Hauptverdächtige für
diesen Anschlag, die Rentnerin Minna B., die am Nachbarstand für den Klön- und
Strickkreis singender Seniorinnen mit dem Verkauf von kandierten Äpfeln, Rindsbratwurst
und Räucherschinken für das Winterlager des Wanderzirkus Schöller sammelt, weist darauf
hin, man sei im Vorfeld von besagtem Ernährungskreis lautstark als Tiermörder und
Kadaverfresser verunglimpft worden.
16 Uhr:
Die Leistungsschau der Bundeswehr auf der Holtmannswiese hinter dem alten Soldatenfriedhof
wird in bedrohlicher Nähe zum Infostand der "Christlich-autonomen
Kriegsdienstverweigerer" eröffnet. So ist es nur eine Frage der Zeit, wann die
diametralen Botschaften "Wir schaffen Frieden" auf der einen Seite mit den
Thesen "Soldaten sind Mörder" sowie "Gelöbnis ist Meineid" auf der
anderen Seite ins Gehege kommen. Zu tätlichen Übergriffen kommt es jedoch erst gegen 16
Uhr 7, nachdem sich Regimentspfarrer Öftering bei der Einsegnung zweier fabrikneuer
BISON-FLAK-Panzer zu der Behauptung verstieg, Jesus sei eine Art Feldwebel Gottes gewesen.
16 Uhr 12:
Erstaunlich lange hält sich das Bläserkorps vom Jagd- und Hegering 2 mit seinem
adventlichen Vortrag unmittelbar neben der Punschbude militanter Tierschützer von der
Initiative "Waldfrieden", die mit den Aufklebern "Blutige Weihnachten -
mitessen heißt mitschlachten" oder auch "Christus war ein Eichelhäher"
gegen Wildgerichte am Heiligen Abend zu Felde ziehen. Zum offenen Schlagabtausch führt
dann schließlich der weihnachtliche Blechchoral "Jesus war ein Jagdgesell".
Revierförster Manfred von Lausitz-Ölpen, dem im Verlaufe der Feindseligkeiten das
Mundstück seiner schweren Zugposaune durch die Schneidezähne gedrückt wurde, gibt
später zu Protokoll, er habe seinen Hirschfänger gegen diese Anarchisten in begründeter
Notwehr einsetzen müssen.
17 Uhr 15:
Am gemeinsamen Stand der Stillgruppe "Rumpelstilzchen" und des Betkreises
schwangerer Hausfrauen flackert das nächste Scharmützel auf. Das Handgemenge mit dem
benachbarten Info-Tisch der HIV-Selbsthilfegruppe Heringsmoor beginnt mit dem
gegenseitigen Niederreißen der Transparente "Gib' Aids keine Chance - Kondome
schützen" und auf der Gegenseite "Verhütung ist Mord - Kondorne sind
Waffen".
17 Uhr 31:
Unter dem kleinen Zeltdach der orthodoxen Bibelgruppe "Prohabilis eterna", die
unter dem Motto "Latein ist Gottes Wort" allerlei Informationsmaterial
feilhält, in dem frühchristliche Liturgieformen sowie Latein als Weltsprache gefordert
werden, wächst die Nervosität über den zunehmenden Geräuschpegel des benachbarten
Motorrad-Gottesdienstes. Nach der Predigt mit dem Thema "Wasser zu Wein - Öl zu
Benzin, Jesus war ein Biker" und der Danksagung für das Überleben zahlreicher
riskanter Überholmanöver der letzten Saison besteigt die gefürchtete
Speed-Metal-Formation "Rammbock" die Bühne.
17 Uhr 33:
Am Ende seiner christlich-lateinischen Duldsamkeit angekommen, trifft der orthodoxe
Religionswissenschaftler Dr. Johannes Görtz mit dem unkontrollierten Wurf einer 15 Kilo
schweren, in Schweinsleder gebunden Hetzschrift gegen Martin Luther die vordere der 24 in
Reih' und Glied abgestellten Motorräder, die in einer Kettenreaktion wie Dorninosteine
aufeinanderfallen. 30 Sekunden später beschließt der Harley-Club Schmöllerheide eine
gründliche Flurbereinigung des gesamten Geländes.
17 Uhr 40:
Rund um die St. Johannis-Kathedrale tobt eine Schlacht, wie sie seit 1109, seit der
Erstürmung der Höcklager Senke durch den Hunnenprinzen Bernward der Schlächter, in
dieser Gegend nicht mehr erlebt wurde. Mittendrin: Menschen wie du und ich, die in der
Weihnachtszeit nur mal ein Stück weit Frieden spüren wollten.
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