Der Stenkelfelder Bildungshunger
läßt stark zu wünschen
übrig, wenn einer dieser seltenen, sonnigen Sommertage
über die norddeutsche Tiefebene hereinbricht. Dann wird
das Bedürfnis nach im Freien gebräunter Thüringer oder
einer durchwachsenen Nackenkarbonade so übermächtig,
daß man bei den Methoden zur Beschaffung grilltauglicher
Fleischwaren kaum mehr wählerisch ist.
Denn eins steht fest: Der erste Grilltrieb erwacht, wenn die
letzte Fleischerei geschlossen hat.
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11 Uhr 3:
In der
Reihenhaussiedlung Önkelstieg nutzt der Berufs-
schullehrer Hermann S. ein kurzes Zwischenhoch.
Die schmale Rauchsäule aus seinem mit zwei tiefge-
frorenen Thüringern belegten Holzkohlegrill wird zum
verheerenden Signal an die Nachbarschaft.
Der überraschende Startschuß in die Grilsaison bringt
die gesamte Siedlung völlig unerwartet in Zugzwang.
11 Uhr 17:
Aufgrund von
Rohstoffmangel erfolgen nur vereinzelte
Konter von den Nachbargrundstücken. Halbherzige
Experimente mit Fleischkonserven und gemischtem
Aufschnitt in Alu-Folie schlagen fehl. Der beißende
Geruch einer angebrannten Mortadella erstickt dann
letzte Hemmungen.
11 Uhr 30:
Die verzweifeten Rufe
der Rentnerin Emilie H. nach ihrem
verschwundenen, mehrfach preisgekrönten Zwergfasan
Hänschen verhallen ungehört. Zur selben Zeit schmückt
der arbeitslose Rohrleger Otto W. liebevoll den Kopf seiner
6jährigen Tochter mit einer langen, gelben Schwanzfeder,
während auf seiner hastig improvisierten Feuerstelle eine
nachlässig gerupfte Vogelleiche schmort.
12 Uhr 6:
Neid und Mißgunst der
gesamten Anwohnerschaft richten sich auf den üppig belegten Tessiner Rundgrill des
Bordellbesitzers Kurt S. Wie üblich kann ihm auch dieses Mal eine Straftat nicht
nachgewiesen werden, so daß eine Strafanzeige vom zweiten Vorsitzenden des Kaninchen-
züchtervereins "Die Steher" über den Diebstahl seiner 20
gekörten Riesenrammler der Rasse Varus rusticus gegen
Unbekannt formuliert wird.
12 Uhr 21:
In einem benachbarten
Waldgrundstück bemerkt der
Direktor des dort campierenden Wanderzirkus Schöller das
Verschwinden des ausgewachsenen Nilpferdbullen Romeo.
12 Uhr 40:
Wegen der Größe des
von seinen Söhnen erbeuteten
Grillguts erweitert Luftwaffenmajor außer Dienst Ottfried
von F. seinen Bratenrost mit Stahlmatten von einer nahege-
legenen Großbaustelle auf 10qm. Als Zündhilfe für die
durchfeuchteten Birkenstämme kommt erstmals ein bislang
unerprobter Raketentreibstoff aus seiner einstigen
Dienststelle zum Einsatz. Die 150 Liter Hydrometanolnitrat
aus dem Kampfjägerbataillon "Petra Kelly" werden - wie
sich augenblicklich zeigt - dem langjährigen Forschungs-
aufwand gerecht.
12 Uhr 47:
Beim ökumenischen
Gottesdienst Brot für die Welt in der
16 Kilometer entfernten Sottruper St. Johannis-
Kathedrale ist soeben der Choral Bittet, so wird Euch
gegeben verklungen, als ein 3 Tonnen schweres, gold-
braun gebackenes Nilpferd krachend das schwere
Kupferdach des Hauptschiffs durchschlägt und auf der
mundgemeißelten Elfenbeinorgel aus dem 14. Jahrhundert
landet. Mit bewundernswertem Improvisationstalent
verkündet Bischof Krögel seiner staunenden Gemeinde,
der Herr sei bisweilen auch zu Scherzen aufgelegt.
12 Uhr 50:
Die Reihenhaussiedlung
ist von zwei Hundertschaften der
Polizei umstellt. Die vom gefesselten Tierpfleger des
Wanderzirkus Schöller abgegebene Täterbeschreibung -
Hawaiihemd, hellgraue Shorts, Tennissocken, dunkel-
braune Herrensandalen der Marke Ötztaler Wanderspaß -
engt den Kreis der Verdächtigen auf ca. 400 ein. Durch
dunkle Rauchschwaden und verkohlte Tierkadaver taumeln
Familienväter zur Vernehmung. Menschen wie du und ich,
die 'mal ganz spontan am Sonntag grillen wollten. |